Ungerechtigkeit der Klimakrise: Wer verursacht, wer leidet – und wie dramatisch die Folgen werden
- Sonja Meyer-Voss
- 5. Okt.
- 5 Min. Lesezeit

1. Einleitung: Luxus im Jet, Hitzetod im Schatten
Manchmal braucht es keine langen Analysen, sondern ein einziges Bild. Als Jeff Bezos, Gründer von Amazon, im Sommer 2024 seine Hochzeit feierte, war es eine Inszenierung von Reichtum und Macht. Hunderte Gäste, viele angereist im Privatjet. Champagner, Luxusjachten, Feuerwerk. Eine Party, deren ökologischer Fußabdruck für Millionen Menschen in ärmeren Regionen unvorstellbar ist – weil er ihr gesamtes Lebensbudget an CO₂-Emissionen bei weitem übersteigt.
Gleichzeitig, fast zur selben Zeit, starben in Indien hunderte Menschen an einer Hitzewelle, die den Asphalt zum Schmelzen brachte. In Ostafrika vernichtete eine Jahrhundertdürre die Ernten, in Bangladesch überschwemmten Monsunfluten Dörfer. Die Betroffenen: Familien, die mit weniger als zwei Dollar am Tag überleben müssen, die keinen SUV fahren, keine Urlaubsflüge buchen und oft nicht einmal Stromanschluss haben.
Hier zeigt sich die nackte Wahrheit der Klimakrise: Sie ist nicht gerecht verteilt. Wer am meisten dazu beiträgt, wird oft noch reicher. Wer fast nichts emittiert, zahlt mit seinem Leben, seiner Gesundheit, seiner Zukunft.
2. Wer die Emissionen verursacht – und warum das kein „wir alle“ ist
Die Oberschicht der Welt
Oxfam hat es 2023 noch einmal deutlich gemacht:
Das reichste 1 % der Weltbevölkerung stößt mehr CO₂ aus als die ärmsten 66 % zusammen.
Das reichste 10 % ist für rund 50 % der globalen Emissionen verantwortlich.
Die ärmsten 50 % dagegen nur für 7–13 %.
Diese Ungleichheit wird besonders sichtbar, wenn man sich Beispiele anschaut: ein einziger Transatlantikflug im Privatjet verursacht zwischen 50 und 80 Tonnen CO₂. Das entspricht dem gesamten Jahresbudget einer Durchschnittsperson, wenn wir die Klimaziele von Paris (1,5 °C) ernst nehmen. Und die hatten wir das gesamte Jahr 2024 durchgängig bereits erreicht.
Der normale Lebensstil der Superreichen – Yachten, Villen, Flugreisen – ist ökologisch toxisch. Und trotzdem gilt die öffentliche Debatte noch oft dem Durchschnittsbürger, der mit einem alten Diesel zur Arbeit fährt.
Fossile Konzerne: Gewinne privatisiert, Kosten sozialisiert
Nicht zu vergessen: Ein Großteil der Klimakrise geht auf das Konto von nur wenigen Firmen. Studien zeigen: 100 Konzerne sind seit 1850 für über 70 % der CO₂-Emissionen verantwortlich.
Exxon, Shell, Chevron, BP, Saudi Aramco, Gazprom – Namen, die seit Jahrzehnten Rekordgewinne schreiben. Gewinne, die privatisiert wurden, während die Kosten – Überflutungen, Dürren, Ernteausfälle – von allen getragen werden.
Noch schlimmer: Viele dieser Firmen wussten seit den 1970ern genau, wie schädlich fossile Verbrennung ist. Ihre internen Klimamodelle waren präziser als vieles, was die Politik damals kannte. Und trotzdem wurden Milliarden in Desinformationskampagnen gesteckt.
Der Mythos vom „wir alle“
Natürlich stimmt es: Jeder von uns hat einen Fußabdruck. Aber es ist nicht egal, wo man lebt – und wie reich man ist.
Ein US-Amerikaner verursacht im Schnitt 15 Tonnen CO₂ pro Jahr.
Ein Deutscher: 8–9 Tonnen.
Ein Inder: 2 Tonnen.
Viele Menschen in Afrika: unter 1 Tonne.
Die politische Forderung, dass „alle etwas beitragen müssen“, ist also irreführend. Nicht alle sind gleich beteiligt. Und nicht alle haben die gleichen Möglichkeiten zur Veränderung.
3. Wer am meisten leidet – und warum das doppelt ungerecht ist
Globaler Süden: Kaum Verursacher, volle Last
Bangladesch, Mosambik, Sudan, die pazifischen Inselstaaten: Ihre historischen Emissionen sind verschwindend gering. Und doch trifft es sie mit voller Wucht:
Meeresspiegelanstieg überschwemmt ganze Regionen.
Dürren vernichten Lebensgrundlagen.
Tropische Krankheiten breiten sich aus.
Laut UNHCR könnten bis 2050 bis zu 200 Millionen Menschen ihre Heimat verlieren – nicht wegen Krieg, sondern wegen Klima.
Soziale Spaltung im Globalen Norden
Auch innerhalb reicher Länder gilt: Arme leiden stärker.
Sie zahlen prozentual mehr ihres Einkommens für Energie.
Sie wohnen oft in schlechter isolierten Gebäuden, ohne Klimaanlagen, ohne Rücklagen.
Sie können sich nicht „freikaufen“, wie es Wohlhabende tun – durch Versicherungen, Rücklagen, Notlösungen.
Generationenungerechtigkeit
Und schließlich die Jungen. Die heute 20-Jährigen zahlen in die Renten- und Klimasysteme ein, die teurer und instabiler werden – und gleichzeitig erben sie eine beschädigte Welt.
Die Klimakrise ist deshalb nicht nur Nord-Süd-, sondern auch Alt-Jung-Ungerechtigkeit.
4. Das Dilemma der Entwicklungsländer
Das Recht auf Wachstum
Indien, Indonesien, afrikanische Staaten: Sie wollen entwickeln. Strom, Jobs, Industrie – all das ist notwendig, um Armut zu überwinden. Aber: Das globale CO₂-Budget ist fast aufgebraucht. Die Frage ist hart: Haben wir im Norden unser Budget schon verfeuert – und verbieten nun den Süden denselben Weg? Einige Länder wie Bhutan, Albanien oder Paraguay machen es vor: Sie setzen konsequent auf erneuerbare Energien – denn letztlich ist das Verbrennen von Ressourcen immer ineffizienter als die direkte Stromerzeugung aus Wasser, Wind oder Sonne.
Viele Entwicklungsländer sind auf Kohle oder Öl angewiesen. Nicht, weil sie „böse“ wären, sondern weil Infrastruktur, Technologie und Kapital fehlen. Der globale Norden profitiert weiter davon – indem er billige Produkte importiert, deren Produktionskosten durch fossile Energie künstlich niedrig gehalten werden - denn die Folgekosten sind enorm.
2009 versprach der globale Norden, jährlich 100 Milliarden Dollar für Klimafinanzierung in den Süden zu geben. Bis heute ist dieses Ziel nicht verlässlich erfüllt.„Loss & Damage“-Fonds wurden zwar beschlossen, aber praktisch nicht gefüllt.
So bleibt Ungleichheit der Kern der Krise: die einen nehmen, die anderen warten auf Hilfe, die nie kommt.
5. Das China-Paradox: Hauptverursacher und Hoffnung zugleich
2023 verbrauchte China fast 4.900 Millionen Tonnen Kohle – über die Hälfte des Weltverbrauchs. Über 60 % des chinesischen Stroms stammen nach wie vor aus Kohle. Allein 2024 wurden über 90 GW neuer Kohlekraftwerke gebaut – fast so viel wie die gesamte EU an Kapazität hat. ABER: sie sind effizienter als die alten Kraftwerke und verbrauchen im Vergleich weniger Kohle.
Gleichzeitig:
Ende 2023 hatte China über 1.400 GW erneuerbare Kapazität installiert.
2024 kamen 373 GW dazu – mehr als die gesamte EU an Solar- und Windkraft zusammen.
China baut doppelt so viele Wind- und Solarkraftwerke wie der Rest der Welt.
Experten sind sich einig: 2023/2024 markieren den Höhepunkt von Chinas Kohleverbrauch. Schon 2025 gingen die Emissionen erstmals leicht zurück. Das ist ein Signal: Selbst der größte Emittent kann und muss drehen. Und wenn China es schafft, gibt es keine Ausrede mehr für andere.
Überraschend für viele Westeuropäer mag sein, dass China im Prinzip einfach nur die sich selbst gesetzten Klimaziele seit Anfang der 2000er Jahre konsequent umsetzt und übererfüllt.
6. Wer profitiert, wenn die Welt brennt?
Während Menschen sterben, steigen die Profite:
Saudi Aramco schrieb 2022 den höchsten Gewinn eines Unternehmens aller Zeiten: über 160 Milliarden Dollar.
Exxon, Shell, BP verdienten gleichzeitig zweistellig im Milliardenbereich.
Gleichzeitig mussten Haushalte in Europa Heizkosten sparen, während Staaten mit Milliarden gegen Energiepreise subventionierten.
Es ist die alte Logik: Gewinne privat, Kosten sozial.
7. Lösungen: Von Appellen zu Strukturen
Nicht jede Tonne gleich behandeln. Luxus-Emissionen (Jets, Yachten, Vielfliegen) härter belasten
Klimafinanzierung endlich ernst nehmen
100 Milliarden Dollar sind nicht genug – aber sie wären ein Anfang. Geld für Infrastruktur, Anpassung, Technologie im Süden ist keine „Hilfe“, sondern ein Ausgleich
Fossile Gewinne umleiten, Übergewinnsteuern auf Öl- und Gaskonzerne, zweckgebunden für Klimafonds
Soziale Abfederung im Norden
Gebäudesanierung, günstiger ÖPNV, Energiehilfen für die unteren Einkommen
Klimapolitik darf keine neue Ungerechtigkeit schaffen
8. Fazit: Wandel als Gerechtigkeitsfrage
Die Klimakrise ist keine Naturkatastrophe. Sie ist menschengemacht – und ungleich verteilt.
Wer profitiert hat, trägt die Verantwortung.
Wer kaum beteiligt war, zahlt den Preis.
Und wer jetzt noch Gewinne aus fossilen Energien zieht, handelt auf Kosten der Zukunft.
Der Wandel wird kommen – die Frage ist nur: Gestalten wir ihn fair, oder lassen wir die Ungleichheit noch größer werden?
Vielleicht, ganz am Ende, lohnt ein Blick über die Zahlen hinaus. Wandel beginnt auch im Inneren: Wie navigieren wir selbst durch diese Unsicherheit? Human Design ist für manche ein Werkzeug, Klarheit inmitten des Chaos zu finden. Aber die politische Aufgabe bleibt: die Profiteure zur Kasse bitten – und den Leidtragenden Schutz geben.
Denn am Ende wird sich die Klimakrise nicht fragen, wer reich oder arm ist. Aber wir sollten es tun – bevor es zu spät ist.





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